RhineFeierZentrale

Wenn einer eine Reise tut...

... dann kann er was erzählen. Manchmal geht das auch schon deutlich vor Reiseantritt.

Sprechen wir es doch klar und deutlich aus: 2020 ist ein Arschloch-Jahr. Covid-19 hat mehr Pläne zunichte gemacht, Hoffnungen und Träume zerstört als der Zusammenbruch von Lehman-Brothers, Nick Leson’s Spekulationssucht und die geplatzte Dotcom-Blase zusammengenommen. Eine der am härtesten betroffenen Branchen ist die Tourismusindustrie. Von einem Tag auf den anderen hieß es rien ne va plus – nichts ging mehr. Von daher habe ich durchaus Verständnis dafür, dass in dieser Saison nicht alles glatt lief, gerade am Anfang. Oder vielmehr: ich hatte! Denn was ein in oder bei München beheimateter, ziemlich großer Reiseveranstalter mit uns abzog war an Dreistigkeit schon nicht mehr zu überbieten.

Wenn eine vierköpfige Familie mit Kindern im schulpflichtigen Alter ihren Urlaub plant, so tut sie gut daran, dies möglichst früh zu tun. Denn die Plätze in der Hauptsaison sind begrenzt, und die besseren dazu noch teuer. Kein Wunder, dass viele Ehepaare Doppelverdiener sind – von den Achtzigern, in denen ein volles, gutes Gehalt noch locker ausreichte, um zumindest zwei Wochen Frankreich, Kroatien oder Irland zu bezahlen, sind wir weiter entfernt denn je. Will jemand heutzutage, sagen wir 10 Tage, etwas mehr Luxus genießen als im „Hotel zum fleckigen Laken“ liegt die Rechnung fast unausweichlich in astronomischen Höhen. Da muss schon einer der Partner im höheren Management eines DAX-Konzerns sitzen. Alternativ mag auch noch eine Unternehmensberatung gehen, die kriegen ja auch für’s Rausschmeißen noch Geld. Oder aber beide malochen, in der Hoffnung einer kriegt Home Office und die verfügbaren Kitaplätze halten mit dem Bedarf mit. Die Reallohnentwicklung in diesem Land ist ein Armutszeugnis, das muss auch ein CDU-Mitglied mal offen aussprechen.

Kurz gesagt: Meine beste Ehefrau von allen (nochmal Gruß an Kishon) und ich hatten uns für Kreta entschieden, gleiches Hotel wie 2018, ähnlicher Preis (zweite Hälfte des vierstelligen Bereichs), Hinflug 18. Juli, 14.30 Uhr, ab Düsseldorf. Die letztgenannten Informationen sollte sich der geneigte Leser merken. Gebucht hatten wir über ein deutschlandweit bekanntes Reiseportal bei einem deutschlandweit bekannten Veranstalter von Pauschalreisen mit Zielen von Berchtesgaden bis Absurdistan.

Und dann kam Corona

Bis Ende Februar verlief das Jahr weitgehend nach Plan: Ich war mit Töchterchen das erste Mal in ihrem Leben auf einem Karnevalsball (he, die „Kleine“ wird, oder vielmehr ist inzwischen 10, schaut nicht so), lag nach dem Straßenkarneval eine Woche so halb und halb auf der Nase, wie immer also. Der Lockdown erwischte mich dann auf dem komplett falschen Fuß. Zu behaupten, ich hätte psychisch ziemlich durchgehangen, wäre die Untertreibung des Jahres. Ich bin an sich Berufsoptimist, verfiel aber in eine bis heute andauernde pessimistische Phase. Ich bin mir noch nicht sicher wer mehr leidet, meine Umgebung oder ich.

Meine bessere Hälfte drängte mich schon Mitte April, doch unsere Griechenlandreise abzusagen. Ich wehrte mich in schönster Realitätsverweigerung, allerdings insofern mit Recht, als dass wir bei einer Absage zu dem Zeitpunkt auf die komplette Anzahlung hätten pfeifen können. Deadline für die Überweisung des Restbetrags war der 19. Juni. Ab Mitte Mai, als langsam klar wurde dass wir eventuell Glück haben könnten, brannte ich der Hotline des Veranstalters Löcher in die Kupferleitungen. Ich wollte wissen ob die Reise eine Chance hatte stattzufinden, welche Bedingungen vor Ort herrschten etc. – keineswegs illegitim, wie ich finde. Zumal die offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes mit dem 15. Juni auslief.

Ich hätte genausogut trommeln können

Ich bin mir nicht sicher ob Markus Söder eventuell den Bayern verboten hat ans Telefon zu gehen, weil am Hörer Coronaviren haften könnten. Aber jemanden südlich des Weißwurstäquators an die Strippe zu kriegen war ungefähr so wahrscheinlich wie der Abstieg der Bayern in die 2. Liga. Als ich es nach ewigen Versuchen und aufaddierten bestimmt sechs Stunden in der Warteschleife einen der vermutlich mies bezahlten Telefonknechte zu fassen bekam, war das Ergebnis, vorsichtig ausgedrückt, eine Nullnummer. Der arme Kerl hatte von den in diesem Fall essentiellen Dingen wie Einschränkungen im Hotel vor Ort, Regelungen für kurzfristige politische Maßnahmen und ähnlichem ungefähr soviel Ahnung wie Donald Trump vom US-Verfassungsrecht. Also gar keine. Aber immerhin, er versprach mir die Weitergabe meines Anliegens und einen Rückruf.

Auf den, genau, warte ich noch heute. In der Zwischenzeit trat mir besagtes Ehelaster so lange auf die Zehen, bis ich widerwillig für alle Fälle eine Alternative reservierte. In Fischbach. Einem Ortsteil von Friedrichshafen. Bodensee. Meine Laune machte einen Abschwung ins Bodenlose. Immerhin, wir konnten bis zum 3. Juli kostenlos stornieren, waren also an sich save.

Dann eben schriftlich

Ich schaffte es noch genau zwei Mal, die Hotline zu erreichen. Beide Male vertrösteten die bedauernswerten Menschen mich, kündigten erneut einen Rückruf an und wurden zum Schluss etwas ungehalten. Es stehe doch auf der Homepage, dass die Kunden von Rückfragen absehen mögen, das Unternehmen würde sie kontaktieren. Merk ich nix von. Und das Datum für die Restzahlung kam immer näher. Ich dachte nicht dran, unter diesen Umständen dem Veranstalter Geld in den Rachen zu werfen. Schließlich war der zu allem. Überfluss der erste oder zweite, der nach Staatsgeldern für sich geschrieen hatte – was mich ein wenig an der Solvenz zweifeln lässt.

Aber wie der deutsche Michel so ist, Papier ist geduldig und schriftliches immer hoch im Kurs, schon falls am Ende die Richter ran müssen. Ich setzte also ein noch recht höfliches, aber bestimmtes Schreiben auf. Natürlich nicht, ohne mich vorher ein wenig Kundig zu machen, wie denn Juristen die Sach- und Rechtslage beurteilen. Dem Studiennebenfach Staatsrecht sei Dank kann ich in diesen ganzen Aufsätzen, Kommentaren und Gutachten die wichtigen Töne zwischen den Zeilen lesen. Was dabei rauskommt wenn ich ins formaljuristische abgleite ist hierneben zu lesen.

Vorab per Fax +XXXXXX, Buchungsnummer, Rechnungsnummer etc.

Zurückbehalt der Restzahlung gem. § 321 Abs. 1 BGB

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit teile ich Ihnen mit, dass ich die meinerseits zum 18. d. Monats fällige Restzahlung auf die oben angegebene Pauschalreise (Buchung über XXXXX) unter Berufung auf § 321 Abs. 1 BGB bis auf weiteres zurückbehalten werde. Eine diesbezügliche Feststellung des Zahlungsverzugs durch Ihr Unternehmen mir gegenüber wird hiermit vorsorglich bereits zum jetzigen Zeitpunkt für streitig erklärt.

Zur Begründung: Auch nach Ablauf des Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für einen Großteil der Staaten des sogenannten Schengen-Raums erscheint die tatsächliche Durchführbarkeit der Reise in höchstem Maße unsicher. Die Absenz einer Reisewarnung ist ohnehin kein definitives Indiz für die Durchführbarkeit einer Pauschalreise, es sind grundsätzlich sämtliche Umstände in Rechnung zu stellen. So flammen immer wieder lokale Infektionsherde auf: Der heute presseöffentlich gewordene Ausbruch von COVID-19 in einem Fleischereibetrieb im Kreis Gütersloh oder der Ausbruch in Göttingen im Anschluss an eine religiöse Feier sind nur zwei Beispiele, wie schnell ganze Landkreise wieder erhebliche Beschränkungen des öffentlichen Lebens anordnen müssen. Ähnliche Ereignisse sind für unseren Urlaubsort, immerhin eine der touristisch am stärksten erschlossenen Gegenden Kretas, keineswegs auszuschließen, ja im Gegenteil sogar zu befürchten.

Ein weiteres Indiz ist die Tatsache, dass Sie offensichtlich nicht imstande sind, meine wiederholt per Telefon, E-Mail und Ihr Portal (Kontakte vom XX., XX. und XX: XXX) an Sie gerichteten Fragen bezüglich möglicher Einschränkungen am Urlaubsort zu beantworten. Ein Veranstalter, der kaum fünf Wochen vor Reisebeginn die Bedingungen am Reiseziel nicht benennen kann, wird die Durchführbarkeit der Reise kaum guten Glaubens mit mehr als hälftiger Wahrscheinlichkeit behaupten wollen.

Unter den gegebenen Umständen werde ich die Restzahlung des Reisepreises solange zurückbehalten bis definitive Aussagen zu den Gegebenheiten am Urlaubsort vorliegen. Dies schließt rechtsverbindliche Auskünfte zu Einschränkungen im Hotelbetrieb ein. Es bleibt Ihnen selbstverständlich unbenommen, Ihrerseits den Pauschalreisevertrag unter sofortiger Retournierung der Anzahlung zu kündigen, um auch für Ihre Seite Rechtssicherheit zu schaffen. Ich weise bereits vorsorglich darauf hin, dass jegliche Umbuchung oder „Gutscheinlösung“ in einem solchen Fall indiskutabel ist und ich auf eine Kostenerstattung innerhalb der im deutschen Rechtsverkehr üblichen 14tägigen Zahlungsfrist bestehen werde.

Mit freundlichen Grüßen

Karibikfeeling in Europa: Zambiki-Beach an der Westküste Kretas

Die Reaktion

Vorweg: Ich schickte das gleiche Schreiben in angepasster Form an das Buchungsportal und, ins englische übersetzt, an unser Hotel. Vom Veranstalter kam: Exakt nichts. Ich hatte tatsächlich mit allem gerechnet, aber nicht damit. Frechheit ist schon gar kein Ausdruck mehr. Und wir hätten komplett in der Luft gehangen, wenn ich das Hotel nicht einbezogen hätte. Mein Englisch ist fließend, lag also auf der Hand und war einfach umzusetzen. Aber was macht jemand, der sich mit dem angelsächsischen Idiom schwer tut?

Die Damen und Herren aus Platanias schrieben zurück, zwei oder drei Tage später bereits. Man bedauere außerordentlich, aber ob der Gesamtsituation sei der Beschluss gefallen, in dieser Saison gar nicht erst aufzumachen. Ich möge das entschuldigen und sie würden sich freuen, wenn wir nach der Krise wiederkämen.

Wiederkommen? Hey, ihr habt geantwortet – you bet your a… we’ll be back! Noch einmal heißen Dank an das Minoa Palace, durch diese Antwort hatten wir für uns Planungssicherheit. Meine Laune wurde zwar nicht besser, aber der Bodensee konnte kommen. Denn ein gleichwertiges Hotel am gleichen Ort würden sie uns in der Zeit kaum anbieten können, außerdem ist ein Unterkunftswechsel nahezu immer ein Grund für massive Preisminderungen oder kostenlose Stornierungen.

Da haut’s dem Fassl den Bodn‘ ’naus

Ich gab’s auf, mich mit dem Veranstalter rumzuschlagen, meine Zeit ist auch nicht unendlich. Wir organisierten noch ein paar Sachen für unsere zehn Tage Bodensee, ich warf doch mal einen Blick auf die Karte zwecks Autobahnfindung und überlegte, wann die beiden Urlaube mit den Eltern da unten eigentlich stattgefunden hatten. 1988 und 1989, meine ich inzwischen einigermaßen sicher zu sein. Die Familienreisen Ende der 80er vermochten nicht unbedingt, das Pubertier in mir in Begeisterungsstürme zu versetzen. Freitag, 17. Juli, 18.10 Uhr: Ich war wie meistens etwas hinter meinem Pack-Zeitplan, nicht zuletzt weil mit kölscher Präzision im Büro kurz vor Urlaub wieder der Bär steppte. Aber ich hatte, inzwischen schweißgebadet, mächtig aufgeholt und gönnte mir ein paar Minütchen zum verschnaufen am Computer. Schnell nochmal Mails abrufen. Freitag, 17. Juli, 18.20 Uhr: Ich wundere mich bis heute, das meine Nachbarn nicht die Polizei gerufen haben. Ich feuerte so ziemlich alle Flüche und Verwünschungen ab, die ich in meiner Marinezeit gelernt hatte – und das waren nicht wenige. Nach viereinhalb Monaten Corona-Gedöne hatte der Reiseveranstalter mich soweit bekommen, dass mir komplett die Hutschnur riss. Es war aber auch zu goldig: Mit Sendezeit 18.14 Uhr hatte ich soeben per Mail eine Buchungsbestätigung für eine Griechenlandreise bekommen, von der ich nichts wusste und auch nichts wissen wollte. Und was für eine! Die Details:
    • Kategoriegleiches Hotel im gleichen Ort, wobei dieses deutlich älteren Baujahres war, was auf Kreta durchaus von Bedeutung ist.
    • Flüge nicht von Düsseldorf nach Chania, sondern von Frankfurt nach Heraklion. Was nicht nur die Anreise zum Airport hier mal eben deutlich verlängert und leicht verkompliziert – aber im erträglichen Rahmen – sondern aus maximal 30 Minuten Bustransfer Flughafen-Hotel eine Ochsentour von 2,5 bis drei Stunden macht, mindestens.
    • Und, als krönender Abschluss: Abflug 18. Juli, wie gehabt, und zwar um 05.40 Uhr, Block-off-Zeit am Gate in FRA. Für Blitzrechner: Von dem Punkt, als mein Hirn den Inhalt der Mail begriffen hatte, bis Abflug lagen elfeinhalb Stunden.
Ach so: Das die Hotline Freitags um 17 Uhr Feierabend macht ist Zufall, oder?

Sauer? Gegen mich haben Zitronen nen negativen PH-Wert

Ja, es ist Bundeswehr-Jargon und ja, hier lesen vielleicht Kinder mit, aber es lässt sich nicht anders formulieren: Mir platzte der Arsch! Ich ließ drei Tage ins Land ziehen und machte mich an einem ruhigen Urlaubsnachmittag am Lake Constance, wie les Anglais es formulieren würden, an eine Antwortmail. Die war, wie man so schön sagt, aus dem Tiefkeller der Maximalverachtung geschrieben. Ergebnis nebenstehend. Und siehe da, die wirkte endlich mal! Keine 24 Stunden später hatte ich eine wortreiche Entschuldigung des Buchungsportals, es dauerte keine drei Tage bis zur Entschuldigung des Veranstalters und sogar noch vor Urlaubende, also innerhalb von zehn Tagen, konnte ich die Rückzahlung unserer geleisteten Anzahlungssumme anfordern.

Es bleibt spannend

Die haben wir allerdings, wie fast zu erwarten, immer noch nicht auf dem Konto. Dafür bald einen vollstreckbaren Titel. Und der Veranstalter darf mir glauben, dass ich den Gerichtsvollzieher nach Nord-Österreich, äh, das Königreich Markus I., schicke. Und dann wundern sich die Damen und Herren Unternehmer, dass die Solidarität der Deutschen mit Ihnen in der Coronakrise zu wünschen übrig lässt – Freunderl, so geht’s fei ned!

Kreta 2018 - die Poolanlage des Hotels bei Nacht
Kreta 2018 - der Hafen von Chania

Deutsche Reiseveranstalter mit Kommunikationsverstopfung und fragwürdigem Geschäftsgebaren:

OUT!

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