"Tiger Uno, commencing!"
Die Patrouille Suisse in ihrer Jubiläumssaison 2019
- Kai Ortmann
- 26. Oktober 2020
Äußerlich scheinen die Grundmuster der Vorstellungen durchaus ähnlich, aber bei einem Blick hinter die Kulissen sind die Unterschiede eklatant: Die Patrouille Suisse ist eigentlich mit kaum einer anderen Militärkunstflugstaffel vergleichbar. Das fängt schon beim Übungsterrain an, drehen die Schweizer ihre Loopings, Rolls und Kehrtkurven doch zwischen steilen Berghängen. Aber auch sonst ist vieles anders, wenn die sechs F-5 mit dem schweizer Kreuz auf der roten Unterseite abheben.
Kennen Sie den Bamibini-Code? Und seine Unterscheide zum Brevity-Code? Wenn nicht ist das absolut verständlich, es sei denn sie zählen zum Schweizer Berufsfliegerkorps oder bewegen sogar eine Maschine in dessen Aushängeschild, der Patrouille Suisse. Die sechs Piloten benutzen noch die alten, Ur-Schweizerischen Funk-Kurzbefehle, um sich untereinander zu verständigen. Ursprünglich wurde der Code entworfen, um in lauten Flugzeugen bei mangelhafter Funkqualität noch einigermaßen etwas zu verstehen. Am besten geht das mit möglichst vokalreichen Worten, eine Eigenschaft, die das italienische von Haus aus besitzt. Und so wurde der Bambini-Code entworfen und immer weiter fortgeführt, bis in die Neunzigerjahre hinein. Mit der Einführung der F-18 und einer immer stärkeren Teilnahmefrequenz an internationalen Übungen bekamen die Schweizer Verständigungsprobleme. Folglich führten sie 1998 den NATO-üblichen sogeannten Brevity-Code ein. Zwei Beispiele verdeutlichen die Unterschiede:
- „Attendez, due diavoli, altezza tre centi, formazione Tiger montare sec, toc!“ Heißt nichts anderes als „Achtung, zwei feindliche Flugzeuge in 30.000 Fuß Höhe, Tiger-Formation, steigen sie mit maximaler Triebwerksleistung“ (ohne Nachbrenner). Im NATO-Englisch hieße das gleiche grob gesprochen: „Action, two bandits, angels thirty, XY Flight, buster, go!“
- „Missio XY, altezza 250, monatare pezo, toc!“ ist die Anweisung, mit vollen Nachbrennerschub auf 25.000 Fuß zu steigen. Das ganze im Brevity-Code: „Mission XY, Angels 25, go gate, now!“
Nebenjob Kunstflieger
Der markante Ausführungsbefehl „Toc!“ ist auch heute noch etwas, dass einem Zuhörer während der Vorführungen der Patouille de Suisse sofort auffällt. Die Funkrufzeichen sind ebenfalls ungewohnt, aus „Tiger six“ wird hier „Tiger sexi“. Einige weitere Unterschiede:
- Die Piloten sind nebenamtlich beim Team, fliegen in der Hauptsache ganz normal in den Einsatzstaffeln. Im Herbst gibt es einen 2-wöchigen Lehrgang mit rund 30 Flügen, bei denen die Grundlagen trainiert werden. Im Frühjahr folgen Auffrischung und Abnahme und dann geht’s in die Display-Saison.
- Die Northrop F-5E Tiger II fliegt in der Schweiz ausschließlich noch bei der Kunstflugstaffel. Die Maschinen stehen an sich kurz vor der Rente, aber so lange nicht klar ist, wie es mit der Schweizer Luftwafe überhaupt weiter geht werden sie wohl noch weiter fliegen müssen.
- Der Kommandant des Teams fliegt selber nicht mit, er ist der administrative Kopf der Staffel und Sicherheitsbeobachter. Übrigens eine Konstellation, zu der immer häufiger auch andere Staffeln übergehen, so zum Beispiel seit wenigen Jahren die Red Arrows.
Aber genug der Vorrede, hier die Schweizer in ihrer 55. Display-Saison:
Patrouille de Suisse, @RNLAF Air Day 2019, Fliegerhorst Volkel, Niederlande
Tomatensalat auf Schwyzer Art – grad nochmal gut gegangen
Um auch hier noch einen Schlenker zu den unangenehmen Seiten der Kunstfliegerei (oder der Fliegerei im Allgemeinen) zu machen: Es fehlte nicht viel, und die Patrouille Suisse hätte mit ihrem 55. Jubiläum auch die gleiche Anzahl unfallfreier Jahre feiern können. Was ein mehr als ungewöhnliches Jubiläum dargestellt hätte. Eine kleine Unachtsamkeit am Trainigstag zum niederländischen Open Day 2016 in Leuuwarden ruinierte die Statistik, gottlob ohne größere Folgen. Beim Re-Join, also dem zusammenführen der Formation nach separaten Manövern, verloren sich zwei der Piloten aus den Augen und berührten sich auf der Innenseite ihres Drehmanövers. Während sich einer der beiden in der Luft halten konnte und eine Notlandung auf der Base hinlegte – wenn auch ordentlich ramponiert – war die andere Maschine nicht zu halten und stürzte ab. Hauptmann Michael Duft, Callsign „Püpi“, schoss sich per Schleudersitz heraus.
Und damit fangen die Klischees an. Denn wohin fiel die Maschine? In eine Gracht, wohin sonst. Und Püpi? Der krachte durch das Glasdach eines Gewächshauses und saß auf einmal zwischen – na was wohl – Tomatenstauden. Glück im Unglück: Am Boden wurde niemand verletzt, die Umweltschäden durch den zertrümmerten Jet hielten sich in Grenzen und das Glasdach fiel nun wirklich nicht mehr ins Gewicht. Also alles zumindest glimpflich überstanden, der Pilot kam mit einer Knöchelverletzung und den bei solchen Aktionen unvermeidlichen Prellungen und muskulären wehwehchen davon. Im Rahmen der Untersuchung zeigten sich einige kleinere Mängel in den Abläufen, vermutlich auch durch die meist recht langen DIenstzeiten der Piloten bei der Staffel begünstigt, vulgo eingeschliffen. Einige sind schon seit acht Jahren und mehr in der Formation dabei.
Schweizer Gemächlichkeit
Höchst befremdlich fand ich allerdings eine Meldung, die ich dieser Tage zufällig aufschnappte und die aus dem Frühjahr stammt. Demnach gibt es jetzt (2020!) Ermittlungen gegen Michael Duft wegen eben jenes Unfalls. Sollten diese für ihn dienstrechtliche Folgen haben, so könnte die Schweizer Militärjustiz vor einem Dilemma stehen. Denn auch wenn Coronabedingt dieses Jahr keine großen Displays stattfanden, der Formationsführer, der Leader der Patrouille Suisse heißt seit Jahresbeginn – Hauptmann Michael „Püpi“ Duft.
Tiger Uno – rock them!