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Wo Google Translate versagt ...

Auf See brauchen Landratten gelegentlich einen Babelfisch

©Bundeswehr/Carsten Vennemmann

Seefahrer sind ein eigenwilliges Völkchen, und das bezieht sich nicht zuletzt auf ihre sprachlichen Eigenheiten. Ein ganzes Sammelsurium von Fachausdrücken ist dort Alltagssprache. Und bei der Marine kommt noch ein Schwung Militärseefahrt-eigener Begriffe dazu. Da hilft nicht mal mehr der allseits bekannte Internet-Übersetzungsdienst aus Mountain View. Aber Hilfe naht: Ein kleines Kompendium.

Seefahrt tut Not, schrieb schon Johann Kinau, besser bekannt als Gorch Fock. Und da es auf See international zugeht wurde irgendwann beschlossen, zur besseren Verständigung genau wie in der Luftfahrt Englisch zu sprechen. Das liegt zum einen daran, dass das Empire im wahrsten Sinne des Wortes einst die Weltmeere beherrschte. Zum anderen ist der Grund aber auch, dass Englisch im Vergleich zu anderen Alternativen relativ leicht zu lernen ist.

Viele Ausdrücke sind auf See ohnehin gleich oder hören sich zumindest in den meisten Sprachen gleich an. Stehen aber in keinem Lexikon. Also müssen Neulinge die Vokabeln der sogenannten Seemannssprache regelrecht pauken. Und zwar schnell. Denn wenn beispielsweise auf einem Segelschff Wind aufkommt bleibt wenig Zeit, beim Befehl „Dirk dicht!“ noch nachzufragen, was das heißt. Oder sich zu wundern, warum der Kollege Dirk Morgens um vier schon getrunken haben soll. Deutlich schlauer wäre es, die Leine, die über die Mastspitze laufend den Baum oben hält, etwas strammer zu ziehen. Häh? Genau!

Bei der Marine wirds doppelt knifflig

Ist der Neuling nicht in die Handelsschaffahrt eingestiegen, sondern fährt bei der Reederei mit dem einheitsgrauen Anstrich, hat er doppelt Spaß. Denn bei der Marine muss er nicht nur die global fast einheitlichen Seemansbegriffe lernen (die übrigens keine Behörde regelt, sondern die Tradition), sondern auch noch die streitkräftespezifischen Ergänzungen, Abkürzungen und Eigenheiten. Gelegentlich hilft ein heimlich in der Tasche verstauter Spickzettel. Beim Schreiben desselben mag die folgende Liste etwas helfen – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit und Aktualität, in der Marine können sich einzelne Dinge gelegentlich ändern.

Ach übrigens: Bei der Marine wird besagter Zettel nicht einfach eingesteckt, nein, der Spickzettel wird am Mann „gefahren“. Alles klar?

AalTorpedo
AlaskaKaltes Abendessen („Was gibt’s zu essen?“ „Heute Abend? Alaska!“)
Allez Allez!Bitte französisch aussprechen. Auf Schnellbooten das Kommando für äußerste Fahrt voraus. Ganz einfach auszuführen, alle Maschinentelegraphenhebel auf den Tisch drücken bis nix mehr geht (löst daher auch das Anrecht der Heizer auf ein „Hebel-auf-die-Back-Bier“ aus. Zahlen muss der Anordnende, also meistens der Kommandant.). Übrigens kein häufiges Kommando, die Maschinen würden das auf Dauer nicht durchhalten.
Alte, derKommandant (auch wenn der erst 27 ist)
A Reise Reise, aufstehn!Weckruf an Bord, meist über SLA (s. u.). Kommt aus dem englischen "arise".
AufbackenGeschirr und später das Essen auf den Tisch stellen.
Augenpflegekurzes Nickerchen in der Freiwache
BackEntweder der vorderste Bereich des Oberdecks oder der Tisch.
Backen und BankenEssen ist fertig
BackschafterDeckt den Tisch, holt das Essen und räumt hinterher wieder ab. Auf einigen Einheiten hilft er auch beim abspülen.
Besanschot anBelohnungsschnaps für die ganze Besatzung – leider selten. Darf in Großbritannien eigentlich nur die Königin befehlen (und heißt dann „Splice the mainbrace!“)““
BockBett
Bock bauenBetten machen
DeckHier bitte ganz genau auf den Zusammenhang achten: Entweder der Fußboden an Bord, oder das Stockwerk eines Bootes/Schiffes („Der Alte ist unten auf dem E-Deck“) oder der Freiluftbereich an Bord (dann meist Wetterdeck genannt weil da das Wetter fühlbar ist) oder ein Wohnraum für acht und mehr Leute an Bord ("Sie schlafen ab jetzt im zwooten Heizerdeck").
Decksziegesiehe Ziege
E-Mixer oder EmiSchiffselektriker. Die machen den Strom und verteilen ihn. Im Gegensatz zum Schiffselektroniker, der nutzt ihn. Alles klar?
Erste GeigeFeinster Ausgehanzug, auch 1. Garnitur genannt.
EX 3-4Ende der Übung, Feierabend, Schluss für heute, Ausscheiden mit Dienst – in jedem Fall das Ende von irgendwas. Spricht sich „Äko ixräi tri täck fauer“, nach NATO-Alphabet und Buchstabiertafel. Kommt aus dem NATO-Signalbuch, da steht lakonisch „Ende der Übung“ als Übersetzung.
FadenHat mit nähen nix zu tun, Streckenmaß in der Seefahrt, 1/10 Seemeile, also ist ein Faden 185,2 Meter lang.
FlaPaFlaggenparade, rituelles vorheißen (hochziehen) oder niederholen (runterziehen) von Gösch und Dienstflagge am Morgen bzw. Abend.
FettsteinButter
GastNein, wir sind nicht im Hotel. Allgemeine Bezeichnung für Mannschaftsdienstgrade an Bord.
GöschVerkleinerte Dienstflagge am Bug. Manche Nationen haben da sehr aufwändige, sich deutlich von der Heckflagge unterscheidende Designs.
HeizerSchiffstechniker. In heutigen Maschinenräumen gibt’s zwar nix mehr zu heizen wie zu Kaisers Zeiten, aus denen der Begriff stammt. Aber bitte.
KammerEinzel-, Zwei- oder Vier-Mann-Wohnraum an Bord. In der Regel nur für Offiziere und höhere Unteroffiziere vorgesehen.
KartoffelwurfgerätGeschütz, meist angewandt auf die 40mm Bofors L/70
Kilo ins SchiffNein, hier geht’s nicht um Gewichte. Sondern es wird ernst, Anweisung, Gefechtsalarm auszulösen. Ursprung erschließt sich mir nicht.
KisteNeuling an Bord
KniffteBelegtes Brot, alternativ Handfeuerwaffe
KnotenGeschwindigkeitseinheit, 1 Knoten gleich eine Seemeile pro Stunde
K24Kasten Bier zu 24 Flaschen á 0,33 l.
MittelwächterKleiner Snack um Mitternacht für aufziehende und abgelöste Wache.
MulschenSchlafen. Wird meistens dann verwendet, wenn der Schlafende eigentlich irgendwo auf Wache hätte sein sollen (Angeblich hat 1916 ein deutscher Oberheizer die ganze Skagerakschlacht "vermulscht")
NiedergangTreppe an Bord
PönenMalen. Verb dazu ist anpönen.
Pollereigentlich Metall- oder Betonsäule zum Festmachen von Leinen, bei der Marine aber meistens der Kopf ("Was haben sie denn da für ne Mütze auf'm Poller?").
Potacken drehenKartoffeln schälen
PusterFunker
RolleJedes Besatzungsmitglied bekommt für bestimmte, vorhersehbare Fälle (Gefechtsalarm, Feuer im Schiff, Mann über Bord usw.) eine festgelegte Aufgabe zugewiesen. Welche kann er seiner Rollenkarte entnehmen. Die Gesamtheit aller Aufgaben heißt ebenfalls Rolle („Besatzung ist auf Position für Bergerolle“)
RollenschwoofDie Übung eben jener durch die einzelnen Rollen festgelegten Aufgabe. Fester, umfangreichster und anstrengendster Teil der Gefechtsausbildung eines Schiffes.
SchmaddingDecksmeister, dienstältester Unteroffizier des seemännischen Personals
SchottJegliche Art von Türen, egal ob Stubentür in der Grundausbildungskaserne oder druckfestes Kugelschott im U-Boot.
Seemannssonntagnachmittägliche Kaffeetafel an jedem Donnerstag („???“)
SkaddiSeekadett. Ein Dienstgrad, den nur Offiziersanwärter durchlaufen.
SLASchiffslautsprecheranlage
SmutDer Koch. Auf größeren Schiffen gibt’s davon mehrere. Nach dem Kommandanten der wichtigste Mann für die Stimmung an Bord.
StellingLaufplanke zwischen Land und Schiff
TampenLeine, bisweilen auch Ende einer Reihe (Tampsgast – der schlechteste eines Lehrgangs)
TaufeHeute leider von PC-genormten Führungsfiguren verbotenes Initiationsritual beim ersten durch- oder überfahren bestimmter geographischer Merkmale. Sieht von außen aus wie Mobbing (was es streng genommen auch ist), fühlt sich für die Betroffenen kurz auch tatsächlich so an, und 24 Stunden später ist jeder stolz drauf und aus Individuen eine Mannschaft geworden. Es gab Äquator-, Polar- und Kanaltaufe (erstes Mal Nord-Ostsee-Kanal). Ein Sonderfall ist die Ari-Taufe, die meist für Einzelne gedacht ist und weitaus weniger aufwendig.
Uli vom Dachdespektierliche Bezeichnung für den UvD (Unteroffizier vom Dienst)
Wahrschau!Achtung, Obacht, aufpassen – allgemeiner Warn- und Aufmerksamkeitsruf. Kommt von wahrnehmen, also bemerken. Hat mit der polnischen Hauptstadt mal so gar nichts zu tun. Also bitte, bitte, Immer mit „h“ schreiben.
WuPlaWurstplatte
ZiegeMannschaftsdienstgrad der Verwendungsreihe 11 (Decksdienst). Auch schon mal Decksziege genannt. Motto: Alles was sich bewegt wird gegrüßt, alles was sich nicht bewegt wird angepönt.
ZwooAussprache der Zahl zwei bei der Marine, soll Verwechselungen mit der Drei vermeiden („Alle Maschinen zwoo mal halbe“). Je nach Anlass können da auch mehr „Os“ drin sein.

„Auf See und vor Gericht sind wir alle in Gottes Hand“

Auch wenn ich bezüglich der Gerichte inzwischen Zweifel an der Richtigkeit dieses Zitats habe, auf See stimmt es dem Sinn nach. Dort sind alle Menschen gleich, unabhängig von Herkunft, sozialem Stand, Religion oder Muttersprache. Der Atlantik hat beim Untergang der Titanic nicht unterschieden ob Reich oder Arm, ob Juden, Moslems oder Christen, ob Weiße oder Farbige in seinen eiskalten Armen erfroren.

Die Kaste der Seeleute hat folglich in allen Völkern der Welt ihre Mitglieder. Schließlich ist dieser Beruf einerseits beileibe nicht jedermanns Sache, andererseits lässt er diejenigen, denen er gefällt, nie wieder ganz los. Bei der Handelsschiffahrt ziehen jedes Jahr hunderttausende, wenn nicht gar Millionen, wie Nomaden von Schiff zu Schiff, von Heuer zu Heuer, und machen ihre fahrbaren Untersätze zu Schmelztiegeln der Zivilisation.

Buntes Durcheinander an Bord

Gegnern einer multikulturellen Gesellschaft sei daher die Mitfahrt auf einem beliebigen Fahrzeug der Welthandelsflotte empfohlen: Da flucht der russische Kapitän auf kyrillisch über die Unfähigkeit des philippinischen Steuermanns, der sich in Tagalog verteidigt, und zwischendurch knurrt der indische Wachoffizier in Sanskrit, man möge ihn nicht beim mulschen stören. Zwei Decks tiefer bringt der polnische Chief mit jüdischen Wurzeln dem arabischen Smut mit Hamas-Verwandschaft bei, welche Zutaten in einen echten Bigos gehören. Und alle verstehen sich und arbeiten in der Regel friedlich zusammen. Das heißt nicht, dass es nicht gelegentlich Meinungsverschiedenheiten gibt. Aber die regeln sich meist schnell wieder, entweder weil die klare Hierarchie an Bord weitere Diskussionen sowieso verbietet, oder weil der große Schiedsrichter eingreift. Der nass machende mit den großen Wellen.

Seeleute sind aufeinander angewiesen

Dieser Unparteiische ist in jedem Fall härter als alle Schiris der Bundesliga zusammen. Windstärke zehn und vier bis fünf Meter Wellenhöhe fegen den Disput über das politische Tagesgeschehen blitzschnell hinweg. Ich hatte einmal das Vergnügen, in einen ausgewachsenen Nordseeorkan mit Windstärke 12 und allem was dazu gehört zu geraten. Sie dürfen mir glauben, wenn sie bei 40 Grad Querlage und 15 Grad Rumpfneigung nach Vorne den Halt verlieren, dann ist es ihnen herzlichst egal, welche Hautfarbe, Religion, sexuelle Orientierung oder politischen Ansichten der andere hat. Hauptsache, er streckt den Arm aus, um sie daran zu hindern den Abgang zu machen. Entweder durch die offene Luke den Niedergang nach unten – dass wäre schmerzhaft, aber akzeptabel – oder aber zwischen den Relingstützen durch und ohne formale Abmeldung über Bord.

Letzteres sollten sie um jeden Preis vermeiden, weil: tödlich. Bei dem Wetter verlieren selbst große Schiffe einzelne Schwimmer in Minutenschnelle aus den Augen. Der vielleicht trotz an sich überschrittener Wetterlimits gestartete Helikopter muss beinahe schon auf ihnen landen um sie zu sichten. Und sie selbst haben schon genug damit zu tun, nicht über Wasser zu ertrinken – ja, richtig gelesen. Bei Orkan ist soviel Flugwasser unterwegs, dass sie mit dem Gesicht in Windrichtung kaum einen Atemzug hinkriegen ohne Salzwasser auszuhusten. Das halten sie, etwas abhängig von der Wassertemperatur und ihrer Schwimmweste, nicht wirklich lange durch, bevor sie entweder vor Erschöpfung oder durch Unterkühlung den Löffel abgeben. Dann doch lieber vom nervigen Gewerkschaftsheini festhalten lassen und ihm verzeihen, dass er ihnen schon zum dritten Mal in diesem Monat ganz unauffällig einen Beitrittsantrag in ihr Messefach gelegt hat.

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